Um diese Frage zu beantworten ist ein Ausflug in die Welt der Theorie hilfreich:
Schon ein römischer Arzt sagte: „Sinnvolles Tun ist der beste Arzt, den uns die Natur gegeben hat.“ (Claudius Galenus, römischer Arzt aus Pergamon, 129-199 n.Chr.).
Das Paradigma der Ergotherapie besagt, dass Menschen für sie bedeutungsvollen Betätigungen durchführen können müssen, um sich zu entwickeln, gesund zu bleiben und/oder gesund zu werden.
Das Ziel der Ergotherapie ist die Ermöglichung oder Wiederherstellung von und Partizipation (Teilhabe) an bedeutungsvollen Betätigungen. Durch Partizipation an Betätigungen entwickelt sich Identität.
„Betätigung: Alle Tätigkeiten und Aufgaben des täglichen Lebens, in denen der Mensch in Interaktion mit seiner Umwelt tritt. Die Tätigkeiten, die für den Menschen im Alltag als notwendig erlebt werden, hängen von seinen individuellen Gegebenheiten und von seiner Persönlichkeit ab. “ (Götsch, 2007, S.6)¹
Es geht darum, dass Menschen das tun können, was für ihre Lebensqualität und Alltagsbewältigung wichtig (und möglich) ist. Durch Handlungen bewältigen Menschen die Herausforderungen der Umwelt und der eigenen Bedürfnisse, Fähigkeiten und Wünsche.
Das folgende Modell verdeutlicht die bisherigen Aussagen:
Die drei Bereiche Person – Handlung – Umwelt beeinflussen einander und haben Handlungsperformanz & Partizipation im Zentrum. Ziel der Ergotherapie ist es, auseinandergedriftete Bereiche wieder einander anzunähern und eine möglichst große Übereinstimmung zu schaffen.
Im Folgenden sind die drei Bereiche Stichwortartig definiert:
- Person: Ressourcen & Probleme, Bedürfnisse
- Handlung: Dinge die man machen muss, soll und will
- Umwelt: physisch und sozial; förderliche und hinderliche Umwelt
Was heißt das Modell im Detail?
Die Ergotherapie ist auf bedeutungsvolle Betätigungen fokussiert. Von Betätigungen ausgehend werden die Bereiche „Person“ und Umwelt“ betrachtet. Dies ermöglicht einen Blick auf den Menschen, der konkrete Alltagstätigkeiten/Alltagshandlungen ins Zentrum rückt und dabei die Ressourcen, Probleme und Bedürfnisse der Person sowie die förderliche und hinderliche Umwelt mit einbezieht. Ziel der betätigungsorientierten Ergotherapie ist die für einen Menschen individuell zufriedenstellende Handlungsperformanz (wieder-) herzustellen und somit die Partizipation (Teilhabe) am gesellschaftlichen Leben im individuell erwünschten Ausmaß zu ermöglichen.
Warum nun klettern oder mit dem Pferd arbeiten?
Zu Beginn der Therapie werden die Partizipation (Teilhabe), Alltagssituationen und die individuellen Rollen eines Menschen erfasst. Daraufhin wird die Therapie gemeinsam geplant. Diese Arbeitsweise ist der sogenannte „Top-Down-Ansatz“.
Die Aufgabe der Ergotherapie ist es nun, betätigungsorientiert die Alltagskompetenzen eines Menschen zu unterstützen. Das Klettern stellt eine Betätigungen dar, die als Mittel und Methode zum Erreichen des Alltagsziels verwendet wird. Im Laufe der Therapie kann und soll das Klettern zu einer bedeutungsvollen Betätigung werden – dies ist ein Kernanliegen der Ergotherapie.
Auch wenn das Klettern zuvor nicht zu den Alltagsbetätigungen zählte, kann es nun dazu dienen, gewisse Fähigkeiten und Fertigkeiten zu erlernen – in diesem Fall wird die Arbeitsweise zu “Bottom-Up“ umgekehrt. Das Mittel „Klettern“ bietet eine Fülle an Möglichkeiten, um sich selbst in bestimmten Situationen zu erleben, diese bewusst wahr zu nehmen und mit der Therapeutin zu reflektieren. Über die Handlungen beim Klettern werden also Situationen geschaffen, in denen sich der Mensch weiterentwickeln kann. Ob dies nun auf der Ebene der Persönlichkeit, der Kognition oder auf der Ebene der Körperfunktionen geschieht wird durch das Ziel des Menschen und unter Beachtung der individuellen Umwelt definiert.
¹ Götsch, K. (2007). Definition , Systematik und Wissenschaft der Ergotherapie. In C. Scheepers, U- Steding-Albrecht, & P. Jehn (Hrsg.), Ergotherapie: Vom Behandeln zum Handeln (S. 2-10). Stuttgart: Georg Thieme Verlag.